Das Liborifest und Völkerschauen in Paderborn
Paderborn
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Das Paderborner Liborifest ist ein jährlich stattfindendes Volksfest, mit weltlichen und kirchlichen Bezügen. Das Fest gibt es bereits seit über 500 Jahren in Paderborn und zieht heute mehr 1,5 Millionen Besucher*innen an. Teil dieser langen Geschichte ist es auch, dass auf dem Fest so genannte Völkerschauen stattgefunden haben, welche ein rassistisches und koloniales Weltbild verbreitet haben – diese unbequeme Geschichte verliert sich in der gegenwärtigen Festlichkeit schnell im Unsichtbaren und taucht allenfalls am Rande, etwa im Zuge wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, auf.
Erstmalig in den 1830er Jahren kam es auf dem Paderborner Liborifest zu so genannten Völkerschauen. Sie waren ein Teil des Unterhaltungsangebots und sollten das vermeintlich „Fremde“ erleb- und sichtbar machen. Menschen aus anderen Weltregionen wurden dabei in besonders stereotypisierter Weise dargestellt und sollten die Faszination, Furcht und Fantasie der Zuschauenden anregen. Inszeniert als ›Rückständige‹, ›Wilde‹ und ›Unzivilisierte‹ mit besonderem Hang zu Körperlichkeit, Naturverbundenheit oder Irrationalität. Diese Zuschaustellung verband dabei ökonomische Interessen der Betreibenden mit politischen Absichten einer kolonialen Gesellschaft. In dieser vereinheitlichenden Darstellung und rassistischen Abwertung alles Außereuropäischen wurde nicht nur eine angebliche europäische Überlegenheit stilisiert, sondern eine falsche Einheit erzeugt, welche ein „wir“-Gefühl entstehen ließ. In diesem „wir“-Gefühl wurde die deutsche und europäische Kultur als homogen und überlegen inszeniert. Demgegenüber wurden klare Bilder davon gezeichnet, wer und was als Unterlegen und Minderwertig und somit auch als nicht-zugehörig galt. Aus dieser konstruierten Unterlegenheit wurde dann ein Verlangen abgeleitet, diesen ›Rückständigen‹ die ›Fortschrittlichkeit‹ der europäischen ›Zivilisation‹ zu bringen. Zugleich wurde aus der angenommenen und inszenierten Zweitklassigkeit außereuropäischer Kulturen und Menschen die Rechtfertigung gezogen, dass Menschen des globalen Südens brutal ausgebeutet und unterdrückt werden dürften. Völkerschauen waren somit ein wesentlicher kultureller Bezugspunkt, um deutsche und europäisches Selbstverständnisse und Identitäten auszubilden und zu stabilisieren sowie eine koloniale Lebensweise zu legitimieren.
Neben dieser allgemeinen kulturellen Stabilisierungsfunktion von Völkerschauen für koloniale Gesellschaften gilt es diese auch aus anderen Gründen zu problematisieren. So erwies sich der Alltag für die „Darstellenden“ stets als Zwangsverhältnis. Wenngleich nicht alle Personen, welche im Rahmen der Völkerschau „auftraten“ unfreiwillig nach Europa oder ins Deutsche Reich gekommen sind, die Teilnahme an den Völkerschauen erfolgte jedoch mindestens auf der Grundlage ökonomischer oder aufenthaltsrechtlicher Zwangssituationen. Wenngleich Menschen somit nicht notwendigerweise zur Teilnahme gezwungen werden mussten, wurde ihnen die Möglichkeit auf eine andere Form der gesellschaftlichen und ökonomischen Partizipation massiv erschwert. Völkerschauen legitimierten somit nicht nur rassistische Weltbilder und koloniale Ausbeutungsverhältnisse, sondern praktizierten diese auch selbst.
Diese Geschichte ist ein unsichtbarer Teil des Paderborner Liborifests und verdeutlicht, dass eine rassistische Denk- und Lebensweise in sämtlichen Bereichen des Lebens, gerade auch in vermeintlich unpolitischen (Freitzeit-)Räumen, praktiziert und reproduziert wird. Eine derartige Praxis erfolgt heute zwar nicht mehr über Völkerschauen, dennoch bleiben rassistische Praktiken in sämtlichen Lebensbereichen eine Realität, welche in der Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft weiterhin unsichtbar bleiben.
Eine ausführlichere Beschreibung mit Quellenverweisen der Völkerschauen im Rahmen des Liborifests findet ihr auf der Homepage von Paderborn Postkolonial: https://paderborn-postkolonial.de/beitraege/voelkerschauen/
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Kolonialismus in OWL – Ein Bildungsprojekt für Schulen
Helfen Sie uns, die verborgenen Kapitel unserer Geschichte zu enthüllen und das Bewusstsein für die koloniale Vergangenheit Ostwestfalen-Lippes zu schärfen. Mit unserem Projekt möchten wir Schulen die Möglichkeit bieten, tiefere Einblicke in die Nachwirkungen des Kolonialismus zu gewinnen und diese Erkenntnisse in den Unterricht zu integrieren. Nutzen Sie diese Chance, um Ihre Schüler für ein wichtiges und aktuelles Thema zu sensibilisieren.